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Ernährungssicherheit erfordert Ernährungssouveränität

Die Josefsgeschichte


Die Josefsgeschichte im 1. Buch Mose stellt eine Verbindung zwischen unserem christlichen Glauben und der Frage der Ernährungssicherheit her, die Auslegung der betreffenden Stellen kann jedoch eine Herausforderung darstellen. Die Erzählung kann missbraucht werden, um Marktmechanismen und das Recht der Unternehmen zu rechtfertigen, Kontrolle über Produktion, Zugang und Verteilung von Nahrungsmitteln auszuüben. Die Herausforderung besteht darin, die Bibel im Dialog mit der Frage der Ernährungsgerechtigkeit, wie sie sich heute stellt, zu lesen. Die Josefsgeschichte macht deutlich, wie der Nahrungsmittelbedarf von den herrschenden Mächten ausgenutzt werden kann.

Vorratshaltung oder Anhäufung von Reichtum?

Und das Land trug in den sieben reichen Jahren die Fülle. Und Josef sammelte die ganze Ernte der sieben Jahre, da Überfluss im Lande Ägypten war, und tat sie in die Städte. Was an Getreide auf dem Felde rings um eine jede Stadt wuchs, das tat er hinein. So schüttete Josef das Getreide auf, über die Massen viel wie Sand am Meer, sodass er aufhörte zu zählen; denn man konnte es nicht zählen.
(1. Mose 41,47-49)

Josef hatte die Weitsicht, Nahrungsmittelvorräte für Zeiten anzulegen, in denen Hungersnot herrschen würde. Das ist wichtig. Aber im vorliegenden Fall wurde das Grundbedürfnis, Vorräte anzulegen, damit die Menschen auch in mageren Zeiten zu essen haben, verkehrt in die unbegrenzte Anhäufung von Reichtum, die Josefs Macht und Einfluss steigerte.

Hungersnot, Nahrungsmittel und Handel

Als nun die sieben reichen Jahre um waren im Lande Ägypten, da fingen an die sieben Hungerjahre zu kommen, wie Josef gesagt hatte. Und es ward eine Hungersnot in allen Landen, aber in ganz Ägyptenland war Brot. Als nun ganz Ägyptenland auch Hunger litt, schrie das Volk zum Pharao um Brot. Aber der Pharao sprach zu allen Ägyptern: Geht hin zu Josef; was der euch sagt, das tut. Als nun im ganzen Lande Hungersnot war, tat Josef alle Kornhäuser auf und verkaufte den Ägyptern; denn der Hunger ward je länger je grösser im Lande. Und alle Welt kam nach Ägypten, um bei Josef zu kaufen; denn der Hunger war gross in allen Landen.
(1. Mose 41,53-57)

Josef empfing Gottes Weisheit und er traf Vorkehrungen für Zeiten der Hungersnot. Aber Produktion, Verteilung und Verbrauch von Nahrungsmitteln müssen so organisiert werden, dass sie gerecht, umweltverträglich, sozial und wirtschaftlich nachhaltig sind. Auch eine Agrarreform, die gerechte Verteilung des Landes, der Zugang zu Saatgut und die Förderung einer nachhaltigen lokalen Landwirtschaft gehören dazu.

Die Ernährungssicherheit hängt normalerweise von handelspolitischen Vereinbarungen ab. Es ist wichtig, dass in Zeiten von Überschwemmungen oder Dürren genügend Nahrungsmittel verfügbar sind.

Es war aber kein Brot im ganzen Lande; denn die Hungersnot war sehr schwer, sodass Ägypten und Kanaan verschmachteten vor Hunger. Und er machte das Volk leibeigen von einem Ende Ägyptens bis ans andere.
(1. Mose 47,13.21)

Zunächst schienen Josefs Sicherheitsvorkehrungen klug und gut durchdacht zu sein, aber als sie die Menschen abhängig machten, schlugen sie in Unterdrückung um. Das ganze Land war einer imperialen Macht (Pharao) unterworfen. Gott wird so beschrieben, dass er Josef mit Weisheit segnete, aber die Josefsgeschichte könnte auch als Beispiel dafür dienen, wie das Wort Gottes benutzt wird, um eine imperiale Politik zu rechtfertigen.

Die Josefsgeschichte zeigt, wie imperiale Mächte die von ihnen Unterworfenen für ihre eigenen Zwecke benutzen können. Josef stammt aus einem armen Land; er wurde ausgebeutet, wurde zum Opfer. Aber seine weise Strategie, Nahrungsvorräte für das Volk anzulegen, diente nicht der Befreiung seiner Brüder und anderer hungernder Menschen, sondern machte sie immer mehr zu Gefangenen.

Zuerst mussten die Menschen all ihr Geld ausgeben, um die für ihr Überleben notwendigen Nahrungsmittel zu kaufen (1. Mose 47,14-15). Und wie es in solchen Fällen üblich ist, stieg der Preis für Nahrungsmittel dramatisch an. An zweiter Stelle mussten sie ihr Vieh – also das, was ihre Existenzgrundlage darstellte – hergeben und erhielten dafür das Brot, das sie zum Überleben benötigten (1. Mose 47,16-17). Statt mit eigenen Mitteln oder einer Politik der Ernährungssouveränität Nahrungsmittel für sich zu erzeugen, wurden sie zu Passivität und Abhängigkeit gezwungen. Heute werden Bauern/Bäuerinnen genötigt, Feldfrüchte anzubauen, die häufig zur Handelsware degradiert oder zu Biotreibstoffen verarbeitet werden.

Schliesslich wurde die Verzweiflung der Menschen so gross, dass sie ihr Land und damit sich selbst aufgaben (1. Mose 47,18-19). Die Verbindung zwischen Land und Volk ist vom ersten Moment der Schöpfungsgeschichte an, als Gott adam (den Menschen) aus der Erde, dem Staub, (adamah) schuf, sehr eng. Die Souveränität über das Land ist grundlegend für die Ernährungssouveränität. Ohne diese werden die Menschen zu SklavInnen. Sie geben ihr eigentliches Leben auf, um die Nahrung zu bekommen, die sie für ihr tägliches Leben brauchen. Sie „sterben“ durch Brot allein.

Es reicht nicht aus, nur Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Was wichtig ist, ist Ernährungssouveränität – die Fähigkeit, sich selbst mit der lebensnotwendigen Nahrung zu versorgen, statt abhängig von anderen Mächten zu werden; nicht Barmherzigkeit, sondern Gerechtigkeit ist vonnöten. Menschen müssen das Land, das sie brauchen, haben und halten können, damit Ernährungssouveränität und Gerechtigkeit gewährleistet sind.

Pfarrerin Dr. Elaine Neuenfeld | Referentin für Frauen in Kirche und Gesellschaft in der LWB-Abteilung für Mission und Entwicklung

Pfarrerin Dr. Karen Bloomquist | Direktorin der LWB-Abteilung für Theologie und Studien

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